Jüngling, Helmut [Hrsg.]:
Internet und Bibliotheken : Entwicklung - Praxis - Herausforderungen
/ hrsg. von Helmut Jüngling.
Köln : Greven, 1995 - 185 S. : Ill., graph. Darst.
(Kölner Arbeiten zum Bibliotheks- und Dokumentationswesen ; H. 21)
ISBN 3-7743-0575-7; 38.- DM

Vorträge über "Internet und Bibliotheken", 1994 gehalten, 1995 als Buch erschienen, 1996 rezensiert - ist das sinnvoll? Entwickelt sich das Objekt nicht so schnell, daß das Medium Buch als unpassende Publikationsform erscheinen muß (Anmerkung 1)? Die Leitfrage dieser Besprechung kann daher nur lauten: Können wir aus diesem Band für unsere heutige bibliothekarische Internet-Praxis noch etwas lernen?

Im Oktober 1994 habe ich selbst mit großem Gewinn an dem Kölner Seminar teilgenommen. Besonders lebhaft erinnere ich mich an Thomas Dierigs (Südwestverbund) hilfreiche Vorführung "Wie funktioniert Internet?". Wenn ich den Text heute lese, ergreift mich zwar eine leichte Nostalgie bei der häufigen Nennung der sympathischen, aber mittlerweile fast ausgestorbenen Beutelratte Gopher (Anmerkung 2), seine Grundaussage jedoch ist immer noch äußerst aktuell: aus der unüberschaubaren Fülle der Informationsangebote im Internet sollen die Bibliotheken besonders brauchbare auswählen und thematisch strukturiert anbieten. M.a.W.: wir sind aufgefordert, im Bereich der via Netz elektronisch angebotenen Informationen prinzipiell das gleiche zu leisten wie im Bereich der gedruckten Literatur - die ja auch, was oft vergessen wird, vor der Ordnung durch den Buchhändler oder Bibliothekar als Chaos erscheint. (Anmerkung 3)

Mittlerweile gibt es in Nordrhein-Westfalen Landespläne für ein Internetbasiertes Informationssystem der Hochschulbibliotheken, deren Verwirklichung hoffentlich nicht mehr lange auf sich warten läßt. (Anmerkung 4)

Gewissermaßen den theoretischen Unterbau dazu liefert Achim Oßwald von der Kölner Fachhochsschule. Sein Vortrag endet mit der Aufforderung, die Vermittlerfunktion der Bibliotheken neu zu definieren (S. 182). Von dieser Definition wird, übrigens, die Zukunft unseres Berufsstandes abhängen.

Einer seiner "Meisterschüler", Michael Uwe Möbius, hat diese Vermittlerfunktion am Beispiel der "Elektronischen Zeitschriften über Internet" sehr praktisch untersucht. Zwar hat sich manche Adresse mittlerweile geändert (Anmerkung 5), der Aktualität dieses Artikels tut das keinen Abbruch.

Mit Carsten Große-Knetter kommt ein Wissenschaftler zu Wort: "Elektronische Literaturdatenbanken in der Hochenergiephysik". Er zeigt, wie in seinem Forschungsgebiet preprints über das Internet verteilt werden: weder Verlage noch Bibliotheken sind daran vermittelnd beteiligt. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen.

"Mailinglisten und Mentalität" - wer könnte kompetenter über dieses Thema sprechen als Michael Schaarwächter von der UB Dortmund?! Schließlich ist er der Gründer und Betreuer von INETBIB, einem elektronischen Diskussionsforum, das für die Einführung des Internets in deutschen Bibliotheken überaus wichtig und schlechterdings unverzichtbar war und ist. (Anmerkung 6)

Peter Klau, ebenfalls aus Dortmund, beantwortet die Frage "Wie entstand und entwickelte sich das Internet?" - eine gelungene Eröffnung des Seminars / des Vortragsbandes.

Die weiteren Beiträge kann man ohne Bedenken auslassen, sie sind einfach veraltet - es sei denn, man interessierte sich z.B. dafür, welch verworrene Vorstellungen "ein Geisteswissenschaftler" noch vor zwei Jahren vom Internet haben konnte (S. 102-111).

Fazit: entgegen dem Anfangsverdacht - es lohnt sich, in diesem Band zu lesen; wir müssen in diesem Band lesen; wir müssen das Internet erobern, sonst erobert es uns: you can't stop the waves, but you can learn to surf.

Anmerkungen

  1. Wären die Vorträge auf einem Server veröffentlicht, könnten sie von Zeit zu Zeit aktualisiert werden; zurück zum Text.

  2. Eine Folie trägt gar das Datum "06.04.94" (S. 30); zurück zum Text.

  3. Dies heißt freilich nicht, daß die Ordnungsmethoden übertragen werden sollten, im Gegenteil: sie haben sich dem Objekt anzupassen. Trotzdem werden in Deutschland in völliger Betriebsblindheit auf den bereits an sich hypertrophen RAK aufbauende Internet-Katalogisierungsregeln entwickelt - und dabei gibt es mittlerweile eine ganze Anzahl brauchbarer Internet-Suchinstrumente wie Alta Vista, excite usw. (cf. http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/ulb/intsuch.html); zurück zum Text.

  4. Cf. ProLibris, 1/1996, S. 34-39; zurück zum Text.

  5. Bekanntestes Beispiel: info.cern.ch wurde zu www.w3.org; zurück zum Text.

  6. Subskription durch elektronischen Brief an maiser@ub.uni-dortmund.de, Subject-Zeile: leer, Text: subscribe inetbib IhrVorname IhrZuname; zurück zum Text.


April 1996

Erstveröffentlichung in: ProLibris, 2/1996, S. 135f.

Copyright © Dr. Thomas Hilberer, th@hilberer.de.