Über die Zugänglichkeit der Informationen im Internet -

Die Rolle der Bibliotheken

Thomas Hilberer


"Zugänglichkeit der Informationen im Internet" - diese Überschrift versteht sich als Übersetzung des Titels "Accessibility of information on the web", unter dem Steve Lawrence und C. Lee Giles das Ergebnis ihrer Untersuchungen zum Thema in der Zeitschrift "Nature" veröffentlicht haben (400, 8. Juli 1999, S. 107-109).

"Zugänglichkeit der Informationen" - diese zu ermöglichen, stellt den Kern unserer bibliothekarischen Aufgabe dar. Feierlich ausgedrückt: das ist unsere gesellschaftliche Mission, trivial ausgedrückt: dafür werden wir bezahlt, und das ist der letzte Grund, aus dem wir jeden Morgen in die Bibliothek kommen. Gerade im Bereich des Internets ist diese Aufgabe heute wichtiger denn je, obwohl es eine Zeitlang zumindest dem Laien so scheinen konnte, als ließe sich unsere Zugangsvermittlung durch Suchmaschinen ersetzen.

Die Überschätzung der Suchmaschinen wurde jedoch bereits im April 1998 durch den Aufsatz "Searching the World Wide Web" der genannten beiden Autoren korrigiert (Science, 280, S. 98-100), der auf Daten vom Dezember 1997 beruht. Damals haben sie die Zahl der öffentlich zugänglichen und von Suchmaschinen erfaßbaren WWW-Seiten auf 320 Millionen geschätzt, von denen über Altavista 46,5% und mit Hotbot 57,5% gefunden werden konnten.

Die neue Untersuchung geht von ungefähr 800 Millionen "publicly indexable" Seiten aus, von denen Altavista nur noch 15,5 % erfaßt. Einen höheren Prozentsatz erreicht allein Northern Light, aber auch nur 16%. Hotbot findet nur noch knapp über 11%.

Mit Suchmaschinen läßt sich also nur noch ein geringer Teil der im Internet angebotenen Informationen finden - fast 60% bleiben auch dann unzugänglich, wenn man die Ergebnisse der elf getesteten Suchmaschinen miteinander kombiniert. Der Grund für diesen Mangel liegt nach Ansicht des zitierten Aufsatzes darin, daß größere Web-Indices teurer in Aufbau und Pflege sind und längere Antwortzeiten haben. Zudem sind die meisten Benutzer auch mit einer relativ kleinen Datenbank zufriedenzustellen, und werden eher durch Zusatzangebote wie kostenlose E-Mail- und Chat-Server an eine Suchmaschine gebunden (ibid., S. 109). Ungeschulte Benutzer haben ohnehin Schwierigkeiten, die gelieferte Ergebnismenge ihren Bedürfnissen entsprechend einzuschränken - weshalb nur die wenigsten Suchmaschinen die Abfrage mit Hilfe Boole'scher Operatoren anbieten.

Wissenschaftliche Informationsquellen machen nach der Zählung von Steve Lawrence und C. Lee Giles gerade 6% der WWW-Seiten aus - die Chance, in diesem Bereich mit Hilfe einer Suchmaschine fündig zu werden, ist verschwindend niedrig und mehr oder weniger zufällig.

In aller Deutlichkeit wird hier das informationspraktische Paradox an der Schwelle zum 3. Jahrtausend sichtbar: je mehr Informationen es gibt, desto uninformierter sind wir. In der unüberschaubaren Fülle der Informationen bleiben die, die gebraucht werden, unauffindbar. Der Informationsreichtum hat eine Größe erreicht, die ihn in Armut verwandelt.

Dieses Paradox kann nur von Informationsspezialisten aufgelöst werden, die Wege zeigen, wie man Informationen im Internet findet. Einerseits geschieht dies durch Beratung und Schulung, andererseits durch den Aufbau von thematisch geordneten und kommentierten Sammlungen von Internetquellen, sprich: Virtuellen Bibliotheken.

Je weniger (wissenschaftliche) Informationen im Internet über Suchmaschinen zu finden sind, desto mehr sind die Informationssuchenden auf virtuelle Bibliotheken angewiesen und desto bedeutender werden bibliothekarische Erschließungsunternehmen. Diese werden sich in Zukunft vermehrt auf einen fachlich abgegrenzten Teil des Internets beschränken, wo sie versuchen, möglichst alle wertvollen Quellen zu erfassen. Dabei wird im Normalfall der Internet-Schwerpunkt dem Sammelschwerpunkt (oder auch einem Teilgebiet davon) der Bibliothek im Bereich der herkömmlichen Medien entsprechen. Solche Sammlungen lassen sich dann in bestehende größere Gefüge, in virtuelle wissenschaftliche Universalbibliotheken wie die Düsseldorfer Virtuelle Bibliothek (DVB), eingliedern.

Damit erfüllen wir unsere Aufgabe als Bibliothekarinnen und Bibliothekare und ermöglichen den Zugang zu den Informationen im Internet (="accessibility of information on the web"), das mithin wesentlich auf uns angewiesen und ohne uns tendenziell nutzlos ist. Auch im Bereich der neuen Medien garantieren wir der Gesellschaft, die uns trägt, die Verfügbarkeit von Informationen.


August 1999. - Letzte Änderung: 19.07.01 10:57:59.

In: Bibliotheksdienst, 33. Jg. (1999), H. 9, S. 1545-1546.

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